Gelegentlich ist es gerade das Einfache, das einen starken Eindruck hinterlässt. Dies mag daran liegen, dass wir im Gewohnten zuerst das Ungewöhnliche erkennen. Daher ist die Nachricht gleichermaßen schlicht wie überraschend: Maxim Biller, der renommierte Autor (bekannt für Bücher wie „Sechs Koffer“ und „Der Falsche Gruß“), Kolumnist für die „Zeit“ und ehemaliges Mitglied der legendären Buchsendung „Das Literarische Quartett“, bringt [...]
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Gelegentlich ist es gerade das Einfache, das einen starken Eindruck hinterlässt. Dies mag daran liegen, dass wir im Gewohnten zuerst das Ungewöhnliche erkennen. Daher ist die Nachricht gleichermaßen schlicht wie überraschend: Maxim Biller, der renommierte Autor (bekannt für Bücher wie „Sechs Koffer“ und „Der Falsche Gruß“), Kolumnist für die „Zeit“ und ehemaliges Mitglied der legendären Buchsendung „Das Literarische Quartett“, bringt sein zweites Musikalbum heraus.
Der schlichte Titel des Albums lautet „Studio“, und auf dem Cover ist das markante Profil des Autors mit einem Strohhut zu sehen. Dass Maxim Biller, als angesehener Literat, nun ein weiteres Musikalbum veröffentlicht hat, könnte einige dazu bringen, erstaunt den Kopf zu schütteln und ihn als völlig überambitioniert abzutun. Biller schreibt immer noch Songs? Und singt noch besser als bisher? Die Antwort ist: Ja! Mit der Unterstützung des Berliner Multiinstrumentalisten Malakoff Kowalski hat Biller zwölf von ihm selbst komponierte Lieder aufgenommen. Es ist ein beeindruckendes, zeitloses Werk, das sich musikalisch – man kann diese illustren Namen durchaus zum Vergleich heranziehen - an Größen wie Leonard Cohen, Serge Gainsbourg oder Paolo Conte anlehnt.
Inhaltlich geben die Songs tiefe Einblicke in die schillernde Gedankenwelt des Literaten. Anders als auf dem Album-Debüt „Tapes“ (2004 erschienen), das in privater Atmosphäre aufgenommen wurde und eher aus Wort-Kollagen, Gedankenfetzen und Aufzählungen bestand als aus traditionellen Songs, präsentiert sich „Studio“ gemäß des Titels als brillant produziertes Hi-Fidelity-Album mit vollwertigen Songs, die musikalisch ausdifferenziert arrangiert sind. Multiinstrumentalist Kowalski bettet dabei den Gesang Billers auf ein minimalistisches musikalisches Gewebe aus Live-Instrumentierung, die Stimme steht dabei stets im Mittelpunkt.
„Studio“ setzt konsequent das fort, wofür der 64-jährige Autor bekannt ist: Geschichten aus seinem Alltag zu erzählen. Doch der scheinbar humorvolle und unterhaltsame Charakter der Stücke offenbart bei genauerem Hinhören oft tiefere, charmant-bissige Bedeutungsebenen. In „Kriegsreporterin“ etwa beschreibt er das Leben seiner Freundin, die seit mehr als zwei Jahren aus der kriegsgeplagten Ukraine berichtet. „Herr Minister“ erzählt die Geschichte eines übergriffigen Politikers. Mit „6 Uhr 30“ thematisiert Biller die düstere Stimmung, die sich seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober über das jüdische Leben gelegt hat. Darüber hinaus gibt es Geschichten über Schriftstellerinnen („Für Maeve Brennan“), Landpomeranzen in Berlin („Berlin Girl“) oder die Wirkung der Welt nach dem Konsum von Beruhigungsmitteln („Das Leben In Den Farben Von Tavor“).
Das „Studio“-Album besteht aus insgesamt zwölf Songs und ist überraschend frisch, melancholisch und sehr außergewöhnlich. Dabei ist hörbar, dass Biller und Kowalksi beim Musizieren im Studio großen Spaß gehabt haben. Zum Glück können wir daran teilnehmen. Und die kulturinteressierte Öffentlichkeit wird „Studio“ lieben: Ein singender Schriftsteller im deutschsprachigen Raum – das hat es schon Jahrzehnte nicht mehr gegeben. „Studio“ dürfte für große Aufmerksamkeit und Begeisterung sorgen.